Das Bronze-Bildnis zum 250. Geburtstag des Dichters
Aus dem Literaturhaus W.W zum Guß nach Berlin… und seit dem 30. April in der Stadt Weißenfels zu sehen!
Wir grüßen aus dem Dahmetal „Sachsen-Weißenfels-Dahme„!

Stadt Weißenfels – Novalis Festwoche bis zum 7. Mai 2022
Ein Beitrag von Claudia Weidenbach
Als vor 50 Jahren der 200. Geburtstag Friedrich von Hardenberg-Novalis begangen wurde, vergruben
meine Eltern eine bemalte Brosche an seinem Grab. Aus dem Nichts tauchte ein gerademal
siebzehnjähriger Mann auf, der von dort kam, wo sie nicht hin konnten. Aus dieser Begegnung
erwuchs eine Freundschaft, die untrennbar mit Novalis verbunden blieb.
Der Fremde kam aus Salzburg und pendelte zwischen Wien, Paris und befand sich auf dem
Sprung nach Amerika, um sich dort an einer Filmhochschule zu bewerben. Dafür wollte er
einen kurzen, dokumentarischen Schmalspurfilm drehen über eben jene Stadt, in der einst Novalis
wirkte und lebte. Nun gehörte auch Weißenfels zu seinen Stationen. Am Töpferdamm 23,
in jenem damals verwildert-verwunschenen Garten an der Saale wurde Novalis rezitiert. Es
wurde philosophiert, gemalt, gekocht, getanzt, gelacht, geheult. Und das über und über mit wildem
Wein bewachsene Haus war Herberge der Träumenden und Erschaffenden. Eine ausladende
Trauerweide erhob sich beschützend bis über das Dach des kleinen Turmes und verbarg die
Sicht auf das Haus. Anfang Mai, wenn der Geburtstag von Novalis ist, erglühten ihre goldgelben
Zweige in grell leuchtend frischem Grün. Der kleine Brunnen, auf dem man sich setzten konnte,
ließ die mächtige Weide wie eine Nymphe erscheinen, die immerwährend kopfüber ihr langes
Haar trocknet. Eine Briese ließ es wehen, und Stürme verwandelten es zu Ruten und Peitschen,
die dann verstreut auf dem Weg und im Gras lagen, als Zeugen heftiger Auseinandersetzung.
1972 war ich gerade mal drei Jahre. Und doch erinnere ich mich lebhaft an die regelmäßigen Besuche
des Salzburgers, der einige Jahre das Leben meiner Eltern, dem Malerehepaar Helga und
Dieter Weidenbach, mitprägte. Er entfachte die Sehnsucht in ihnen nach den unerreichbar und
für sie fabulös klingenden Orten, an denen er lebte und die er aufsuchen konnte, ohne aufgehalten
zu werden. So trafen sich bizarre Gegensätze. (Ein Weltreisender und ein Paar, dass auf einer
Insel, die sich wiederum auf einer Binneninsel, der DDR, befand, lebte). Die Liebe zu Novalis
war so schicksalshaft geworden. Damals ahnte keiner, dass am Ende ein schrittweiser Ausbruch
aus der zu eng gewordenen Idylle stand. Die Stürme zerzausten uns ebenso wie die Zweige der
alten Weide. Die Splitter zerbrochenen Lebensgefühl liegen verstreut in der Saalelandschaft,
leuchten in Novalis Versen auf. Sind überdeckt, wurden abgelöst von anderen Empfindungen,
Erfahrungen, sie sind da und auch wieder nicht. Bleiben und reichen sich weiter.
Heute lebt der damals so junge Mann als Autor und Filmemacher in Paris. Gerade befindet er
sich in Amerika. Ob er am 2. Mai 2022 da drüben auch an Novalis denken wird?
Auf dem zierlichen Nähtisch unseres Wohnzimmers lag lange Zeit ein vergilbtes Buch mit blaugrauem
Umschlag, in dem ich immer wieder blätterte, obwohl es nur Buchstaben enthielt. Es
waren die Hymnen an die Nacht. Es roch trocken-staubig und noch etwas nach Druckerschwärze.
Aus ihm wurde hin und wieder vorgelesen, wobei manche Passagen keinen Blick mehr ins
Buch bedurften. Sobald ich selbst lesen konnte, versuchte auch ich mich darin und lernte sogar
einige Verse auswendig. Ich wusste, dass das weder zeit- noch altersgemäß war und doch fühlte
es sich vertraut und geborgen an. Natürlich verstand ich nichts davon. Nur sein Klang und
Rhythmus war mir wie ein Wiegen, Einlullen, Versinken darin. Mit dem Verlassen des Hauses
ließ ich auch die Verse zurück. Erinnerungsstücke, untrennbar mit den Geräuschen und Gerüchen
des Hauses, dem Garten, der Menschen, die zu uns kamen um zu feiern, zu diskutieren,
mit uns zu essen, zu trinken, zu streiten, zu versöhnen.

Als ich 2018 eine kleine Serie von Dichterportraits modellierte, tauchte Novalis wieder in mir
auf. Ich hatte Annette Droste von Hülshoff unter meinen Fingern, Christa Wolf und Charles
Bukowski. Über dieses Nebeneinander musste ich selbst lachen. Das war wie am Töpferdamm:
Jimmy Hendrix neben Heinrich Schütz zu hören oder Janis Joplin neben Stabat Mater von Pergolesi.
– Für mich gehört dennoch alles zusammen. Den Portraitierten stellte ich einen Satz zur
Seite, der sich in diesem Moment passend für sie anfühlte. Bei Charles Bukowsi waren es die
Zeilen aus einem seiner letzten Gedichte: „forgive me … it‘s to late. I have been smitten …“ Zu
Annette Droste v. H. fand ich folgendes stimmiges Zitat: „Wo man am innigsten fühlt, weiß man
am wenigsten zu sagen.“ Für Christa Wolf sprang mir dieser prägnante Satz in die Augen: „Daß
es so schwer sein würde, habe ich nicht gewußt, auch wenn mich einmal das Entsetzen packte,
daß wir spurlos vergehen …“ Und der von und für Novalis passt zu meiner Familiengeschichte,
auch wenn er losgelöst davon ganz anderen Zündstoff in sich birgt. Einen, dem man dann doch
bei allem Drang und Aufbegehren eine, imaginäre Grenze geben mag. Eben eine die jeder für
sich selbst entdecken und definieren sollte: „Alle Schranken sind bloß des Übersteigends wegen
da.“ – Wir hören und verstehen ihn sicher anders als vor 250 Jahren, so einfach er auch sein
mag. Er ist wie eine Aufforderung zu einem philosophischen Diskurs.

Die Herstellung des Novalis-Portraits in Bronze ist mein Beitrag zu seinem 250. Geburtstag
und damit auch ein Geschenk an mich. Am 26. April wurde das Relief in Berlin, in der Gießerei
Noack, gegossen. Obwohl es eigentlich keine Kapazitäten gab, wurde es dazwischengeschoben.
Um behilflich zu sein, trennte ich selbst mit Bunze und Hammer die Gussgrate ab, die sein
Gesicht umspannten, als wüchsen Algen und Flechten darauf.

Ich dachte während des Herstellungsprozesses auch an Novalis als Geologen. Feuer, Erze, Säuren, Wasser trafen dabei mehrfach aufeinander. Beim Gießen und beim Patinieren. Diese vielen Verwandlungen während der Umwandlung sind faszinierend. Eine kleine Spur kann also doch hinterlassen werden, obwohl auch die nicht unendlich währt.

Ob Novalis sich darin erkennen würde? Sicher hatte er ein anderes Bild von sich. Wie seine
Gestalt wirklich war, sein Gesicht, Ausdruck ist kaum bis gar nicht überliefert. Die Künstler
erschufen sich ihr eigenes Bild vom jungen Dichter. Sicher ist nur, dass er viel zu jung starb.
Welche tiefen und seiner Zeit vorauseilenden Gedanken und Erkenntnisse hätte uns ein Novalis
im Alter wohl noch hinterlassen?
Claudia Weidenbach
29. April 2022
